Hardangervidda Tag 6 – Von Viersdalen nach Litlos

Diese Etappe hat das Potential die schönste der gesamten Nord-Süd-Durchquerung der Hardangervidda zu sein. Sie führt direkt zum Harteigen und man hat die Möglichkeit den Gipfel zu erklimmen. Außerdem hat man vom Hochplateau eine fantastische Aussicht über die gesamte Hardangervidda bis hinauf zum Hardangerjokulen Gletscher. Eigentlich. Denn für uns kommt es ganz anders.

Um 4 Uhr morgens geht um uns herum die Welt unter. Der Sturm beginnt mit Orkanböen und Regen. Wir haben das Zelt extra windgeschützt aufgebaut, leider hat sich der Wind über Nacht gedreht. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, ich rechne jeden Moment damit dass das Zelt kaputt geht weil eine Stange bricht. Uns ist klar: wir müssen hier weg, und es bleibt nur eine Möglichkeit, nämlich die DNT-Hütte in Torehytten. Draußen ist es aber noch zu dunkel um loszulaufen, also warten wir noch etwas ab. Um 5 Uhr dämmert es und wir haben genug Licht um alles zusammenzupacken. Der Regen hört sogar kurz auf, im Wind ist das Zelt sofort trocken, immerhin ein Vorteil. Kurz einen Energierrigel als Frühstück und dann gehts los. Kaum verlassen wir unseren „windgeschützten“ Zeltplatz, trifft uns die volle Wucht des Sturms. Die großen Rucksäcke auf dem Rücken  und die Regenponchos geben eine riesige Angriffsfläche, bei jedem Schritt muss man damit rechnen zur Seite gedrückt zu werden. Der Wind kommt von schräg hinten und peitscht das Tal entlang durch das wir laufen müssen. Am Ende des Tals geht es bergauf, der Wind ist unerbittlich. Oben traue ich meinen Augen kaum, doch der Wasserfall der normalerweise ins Tal hinabstürzt fließt rückwärts. Das Wasser fliegt 2 Meter runter und wird dann vom Wind wieder nach oben geblasen. Unglaublich! Wenn es nicht der ungemütlichste Ort der Welt gewesen wäre hätte ich es gefilmt. So gibt es leider keinerlei Bilder der ersten Stunden dieses Tages. Nach ca. 1h kommen wir glücklicherweise an etwas geschützere Stellen, aber es regnet wieder und ist kalt. Verzweiflung macht sich breit, aber es hilft nichts, wir müssen Torehytten erreichen. Nach 1,5h haben wir es dann geschafft, wir erreichen das Haus, klopfen und wecken den Hüttenwart der erst etwas verschlafen wirkt, uns dann aber doch willkommen heißt und sich freundlich um uns kümmert.

P1010769Völlig entkräftet sitzen wir in der Küche, wärmen uns mit Tee und frühstücken erstmal (in einer DNT-Hütte sitzen kostet übrigens 10€ pro Person). Wir sind uns unsicher wie die Tour weitergehen soll, bei dem Sturm scheint das Harteigen-Plateau kein sinnvoller Ort zu sein. Eine wirklich Alternative gibt es aber auch nicht, der Süd-Ost-Weg nach Litlos ist viel zu weit für einen Tag und die Lust auf zelten ist uns erstmal vergangen. Der Hüttenwirt versichert uns dann dass der Weg zum Harteigen ungefährlich ist und man von dort auch bei Sturm problemlos nach Litlos kommt. Das beruhigt uns ein wenig, und so brechen wir 1,5h später wieder auf und begeben uns auf den Weg zum Harteigen. Es ist 8 Uhr, der Tag fühlt sich jetzt schon viel zu lang an. Wie angekündigt ist der Weg hinauf zum Harteigen tatsächlich kein Problem. Der Sturm ist zwar immer spürbar, aber hier sind wir ihm nicht so direkt ausgesetzt. Erst ganz oben, wo der direkte Aufstieg von Viersdalen, den wir ursprünglich gehen wollten, wieder einmündet wird der Wind wieder stärker. An der Rinne die zum Gipfelaufbau führt machen eine Pause. Die Aussicht hier ist toll, wenn auch etwas wolkenverhangen. Ich würde zu gerne auf den Gipfel steigen, doch das ist heute selbstverständlich unmöglich.

P1010774So machen wir uns kurz darauf wieder auf den Weg nach Süden, es geht nun vornehmlich leicht bergab bis Litlos. Auch das Wetter wird besser, es hört auf zu regnen und der Weg ist windgeschützter als zuvor. Endlich bleibt etwas Zeit die Landschaft zu genießen und auch ein paar Fotos zu schießen. Wie gesagt, bei guten Bedingungen ist das hier zweifelsohne die schönste Etappe der Tour. Allerdings ist sie, vorallem auch durch den Umweg über Torehytten, neben der Etappe nach Garen streckenmäßig die längste. Das merken wir vorallem gegen Ende. Es geht immer wieder Auf und Ab, jeder Gegenanstieg ist anstrengend. Hinter jeder Ecke hoffen wir die DNT-Hütte Litlos zu sehen, doch jedesmal werden wir enttäuscht, immer wieder kommt noch ein kleiner See und noch ein Anstieg. Als es endlich so weit und wir die Häuser sehen sind sie noch gute 45 Minuten entfernt. Sanne steht kurz vor der Kapitulation, doch es hilft alles nicht, wir müssen weiter. Zu allem Überfluss setzt nun wieder ergiebiger Regen ein.

Als wir endlich in Litlos ankommen fallen wir uns erleichtert in die Arme und buchen je ein Bett mit Halbpension und Duschmarken. Knapp hundert Euro kostet uns das, aber es ist in diesem Moment jeden Cent wert. Kurz nach uns trifft Albert ein der tatsächlich durchs Gronodalen gelaufen ist, was wohl nicht so schlimm wie angekündigt war. Er überlegt noch ob er draußen einen Zeltplatz sucht, kurz darauf bezieht er aber sein Bett im selben Zimmer wie wir. Zum Abendessen gibt es drei Gänge: Spargelcremesuppe mit leckerem selbstgemachten Brot, Hühnerfrikassee mit Reis und Schokobrownie zum Nachtisch. Das Haus ist gut besucht, es ist die größte DNT-Hütte der Hardangervidda und sehr beliebt. Bei uns am Tisch sitzt ein norwegischer Jäger der hier auf Rentierjagd ist. Leider, sagt er, sind die meisten Rentiere zur Zeit im Osten und die Chance dass wir welche sehen (und er welche schießt) sind sehr gering.  So bleibt es bei Schneehühnern und Lemmingen die wir zu Gesicht bekommen. Auch den aktuellen Wetterbericht kann er uns sagen: Es bleibt schlecht. Den Rest der Tour können wir in zwei Tagen schaffen, wollten uns aber eigentlich hinten raus Zeit lassen, eventuell sogar über Middalsbu nach Roldal anstatt nach Haukeliseter laufen. Doch bei den aktuellen Bedingungen haben wir keine Lust auf eine Verlängerung. Auch die Lust auf zelten ist uns vergangen. Daher entscheiden wir am nächsten Tag nach Hellevasbu zu laufen, und von dort an einem Stück durch bis Haukeliseter.


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